Archiv für den Monat: August 2010

Oj Kosovë bukuroshe, rreth em rreth e qosh em qoshe!

„Oh Kosovo, Schönheit, rum und drumherum und von Ecke zu Ecke“(wenn ich das richtig verstanden hab.)

Große Neuigkeiten! Ich hab einen Albanisch-Lehrer! Daut ist sein Name. Leider ist er nur etwas überdreht. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es das ganz trifft, oder ob er unter Hyperaktivität leidet. Er redet wie ein Wasserfall und was weniger schön ist: Läuft man mit ihm über die Strasse, labert er jede(!) Frau an. Und damit meine ich jede. Und das mit Sprüchen wie „Do you look at me?“ oder „I love you!“.

Das ist auch kein Übersetzungsfehler. Seiner Meinung nach kommt Englisch bei der hiesigen Damenwelt gut an.

Nach unserer ersten Stunde sind wir noch mit einem Freund von ihm in einen Club gegangen und da konnte ich aus nächster Nähe miterleben, wie es ankommt: Nach mehrfacher penetranter Anmache, bekam er von einer stolzen Schönen drei Kopfnüsse verpasst.

Aber natürlich hat das bisher kein Umdenken angeregt.

Und so habe ich letzte Woche lernen können, mit wie vielen Sprüchen man(n) hier abblitzen kann. Dabei unterschieden sich die Reaktionen nicht sonderlich von dem, was wohl jeder erwarten würde, wie „Hast Du Dich mal im Spiegel angeguckt?“, „Laß mich in Ruhe!“ oder auch nur ein einfaches Abstrafen durch Nichtachtung.

Am Samstag war ich mit ihm übrigens in seinem Heimatdorf namens Runik in der Gemeinde Skënderaj/Srbica. Den dortigen Bürgermeister konnte ich auch kennen lernen, weil der gute Daut große Pläne hat. Er ist dabei ein zünftiges Touri-Programm auf die Beine zustellen und demnächst Ausländer kreuz und quer durch den Kosovo zu kutschieren. Sobald seine Homepage steht, werde ich hier natürlich einen Link bereitstellen. Was Runik aber darüber hinaus für mich interessant macht, ist die kleine serbische Minderheit, welche im Nachbardorf wohnt. Daut und ich sind 4 Kilometer bei glühender Mittagssonne durch die Prärie gelaufen, damit ich dort eine Bergquelle (natürlich mit „beautiful serbian girls“) besichtigen konnte. Natürlich waren nur drei Typen da. Ein Bekannter von ihm, seines Zeichens Profifußballer, ein älterer Kosovo-Albaner und ein älterer Serbe. War auch ganz nett, sich mit denen zu unterhalten. Probleme scheint es, abgesehen von der dort nicht-vorhandenen Wirtschaft, nicht zu geben.

Später waren wir auch noch in einem serbischen Kramladen auf ne Cola. Und natürlich musste mein Lehrer die Töchter des Ladenbesitzers angraben, so dass sein Bekannter und ich uns fremdgeschämt haben. War aber ganz nett dort. Das Dorf ist elektrifiziert, Wasser kommt aus der Quelle, es gibt nur keine Kanalisation etc.

Ich hab auch vor in den nächsten Tagen bzw. der nächsten Woche sowohl den kosovo-albanischen als auch den serbischen Bürgermeister (ihr wisst ja, Parallelstrukturen. Die herrschen beide über die gleiche Gemeinde, erkennen sich aber gegenseitig von Amts wegen her nicht an) für meine Dissertation zu interviewen. Ersterer hat mir seine und die Nummer seines „Kollegen“ gegeben.

Ansonsten sind wir ungefähr eine Million mal zum Kaffee eingeladen worden, von Dauts Bekannten und Freunden, als auch von einem alten serbischen Mütterchen, welches meinen werthen Lehrer zuerst auch noch, allerdings ohne böse Hintergedanken, sondern vielmehr aus alter Gewohnheit, nicht als Albanac, sondern als Šiptar bezeichnet hat. Natürlich hat sie sich tausendmal entschuldigt und uns, wie gesagt, danach auf Rakija und Kaffee eingeladen. Leider hatten wir keine Zeit, weil ja noch das Treffen mit Murat, dem Bürgermeister anstand. Also wieder vier Kilometer zurück und zugesehen, dass wir per Anhalter mitgenommen werden. Schließlich hielt ein kleiner LKW und wir sprangen auf die Ladefläche.

Im Übrigen war das das erste Mal, dass ich auf einer offenen Ladefläche mit gefühlten 80km/h durch die Landschaft gebraust bin. Sehr cool.

Hier auch noch ein Foto von der berühmten Brücke in Kosovska Mitrovica, da wir mit Bus, Minibus und per Anhalter über K.Mitrovica und Klina nach Runik gefahren sind.

Auf dem Rückweg gabs dann noch nen Snack in Skenderaj.

Achja, letzten Mittwoch habe ich einen „alten Bekannten“ kennen gelernt: Azem Vllasi. Seines Zeichens heute Anwalt. Ich hab einfach vor seinem Büro gewartet, bis er vorbei kam. Zuerst war ich mir auch nicht ganz sicher, ob er es ist: Ein älterer Herr in Freizeitkluft, der an seinem Wagen rumfurwerkte und gar nicht aussah, wie  so wie man sich halt lebende Geschichte vorstellt.

Ich hab ihm gesagt, dass ich gern ein Interview mit ihm führen würde und schon saß ich zwei Minuten später in einem Cafe und wartete bis er sein Auto mit allerlei Kram vollgeladen hatte. Dann tranken wir einen Kaffee, er erzählte ein bisschen von früher, von Tito und seiner Zeit im Gefängnis und jetzt sind wir für Mitte/Ende August verabredet für ein Interview, weil er vorher noch nach Kroatien muß. Für den Falle eines Falles wird dann wohl auch noch sein Sohn dabei sein, da dieser fließend Englisch spricht. Wobei ich die Sprachkenntnisse von Herrn Vllasi sen. nur als überaus gut bezeichnen kann.

Die Nummer von Shkelzen Maliqi hat er mir im Übrigen auch gegeben. Ihn und Veton Surroi wird ich morgen bei der Koha ditore aufsuchen.

Ansonsten hab ich noch eine ganze Liste an Altkadern, die teilweise heute im Pralament sitzen. Manche sind leider schon über 90, aber Leute wie Kaqusha Jashari würd ich ja schon gerne mal interviewen.  Oder Hydajet Hyseni! Nur möchte ich mal wissen, welcher Serbe damals im Zentralkomitee oder in der Provinzregierung saß. Vllasi hat zwar bisher keine Namen genannt, meinte allerdings, dass seien früheren serbischen Kollegen heute alle in Belgrad bzw. Zentralserbien leben.

Back to Balkan

Heute Abend geht’s wieder zurück nach Prishtina. Es war eine durchaus spaßige, aber vor allem anstrengende Woche hier in Belgrad. Gewohnt hab ich bei meinem Freund Djordje in Cerak und mein Tag war bestimmt vor allem von „Exkursionen“ nach Železnik ins Arhiv Srbije und nach Topčiderska Zvezda ins Arhiv Jugoslavije. Außerdem war ich am Donnerstag noch für ein einstündiges Interview im Palata Federacije, genauer beim Ministarstvo za Kosovo i Metehiju. Oliver Ivanović, Staatssekretär im Ministerium, hatte sich etwas Zeit für mich genommen. Das Interview war auch überaus tiefgehend und eigentlich bin ich sogar etwas überrascht gewesen, wie offen der Herr Staatssekretär über vielerlei Dinge gesprochen hat. Die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes spielte in meinem Interview eher eine untergeordnete Rolle, da dies nicht so viel mit meiner Dissertation zu tun hat. Ich bin mehr daran interessiert, wie Serbien administrativ Einfluss auf die serbischen Enklaven und insbesondere auf Nord-Mitrovica nimmt. Allerdings musste ich ja doch etwas schmunzeln, als er mir erklärt hat, dass das Ministerium keine Ahnung hat, wie viel der Casus Kosovo den serbischen Steuerzahler kostet… Da schweigt man sich doch besser aus bzw. lässt die Antwort unklar. Vielleicht wäre das Wahlvolk nicht so begeistert. 😉

Falls sie allerdings tatsächlich auf ministerialer Ebene keine Ahnung haben, wär es auch ein Grund, der Regierung ein Armutszeugnis auszustellen.

Welche Meinung habt Ihr denn so zur Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes? Ich glaube ja nach wie vor, dass die serbische Regierung die falsche Frage gestellt und darauf schließlich die richtige Antwort gekriegt hat: „War die ERKLÄRUNG der Unabhängigkeit illegal?“ Na, erklären kann man ja viel…

Schön war auch dass ich ein paar Freunde die Tage über treffen konnte. Dusan ist unter die Streetfighter gegangen, bzw. hat sich in einer heldenhaften Aktion schützend vor einen Freund gestellt und sich dabei die Hand gebrochen, als er irgendeinem Typen eine gehauen hat.

Und gestern auf heute bin ich bei Ivana untergekommen. Wir waren heut ein bisschen an der Sava zum Kaffee trinken und Eis essen.

Achja, Gratis-Unterricht in Serbisch hab ich auch gekriegt, da ich mit Djordjes Mutter morgens immer nen ordentlichen türkischen Kaffee bekommen hab. Außerdem bin ich jetzt bestens informiert über türkische Seifenopern im serbischen Fernsehen und was wirklich in der Schlacht an der Neretva passiert ist („Bitka na Neretvi“ kam im Fernsehen und es gab doch den ein oder anderen Disput zwischen Djordje und seinem Bruder auf der einen Seite und Djordjes Mutter auf der anderen. An dieser Stelle noch mal meine Međunarodna Solidarnost an Tante Zorica, wie ich sie nennen soll:-D).

Und hier noch was fürs Ohr und Auge: 😀 😀 😀 Meiner Meinung nach, ein kultureller Ausdruck sozialer Probleme auf dem Balkan.