Archiv für den Monat: Juli 2010

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Na, da ist er nun mein Blog. Und ehrlich gesagt, frage ich mich nun, was ich überhaupt schreiben soll. Die letzten zweieinhalb Monate waren durchaus ereignisreich, auch wenn es mir im Grunde wie Normalität vorkommt. Der/Die geneigte LeserIn (an dieser Stelle möchte ich kurz erwähnen, dass ich aus Gründen der Einfachheit und des angenehmeren Lesestils in Zukunft auf eine genderkompetente Schreibweise verzichten werde;-)) dieses Blogs kann dies sicher nachvollziehen. Meine Zeit in Belgrad wurde vor allem von drei Dingen bestimmt:

  1. Arbeit (Recherche für die Diss., Sprachunterricht)
  2. Organisatorisches (Anmelden, Ummelden, Abmelden, Beantragen, Warten etc.)
  3. und alte und neue Bekannte und Freunde treffen (An dieser Stelle liebe Grüße)

Vor jetzt bald drei Wochen bin ich dann schließlich aus Belgrad Richtung Prishtina abgefahren. Die ersten Tage konnte ich bei meiner Bekannten Rreze unterkommen, bis ich endlich was eigenes gefunden hatte. Die Suche nach eigenen vier Wänden gestaltete sich dann doch etwas schwierig. In Prishtina ist man mehr darauf eingestellt, dass die Ausländer mit einem anderen Budget aufwarten können und vor allem länger bleiben. Am dritten Tag nach meiner Ankunft waren vier(!) Makler damit beschäftigt, mir eine Bude zu suchen. Nebenbei bin ich mit ein paar kosovo-albanischen Studenten die Kleinanzeigen der örtlichen Käseblätter durchgegangen. Ihr könnt Euch vorstellen, Prishtina kenne ich nun ganz gut. Die meisten Apartments, die für kleines Geld zu haben waren, waren denn auch alptraumhaft – Pappe vor den kaputten Fensterscheiben, Badezimmer noch im Rohbau, am Stadtrand oder auch einfach alle diese Dinge zusammen.

Eine Wohnung im Haus einer Familie hätte ich auch zu gern genommen, nur leider ist sie an einen anderen finanziell wohl potenteren Mieter gegangen. Insgeheim dachte ich aber auch, dass es vielleicht daran liegen könnte, dass mir eine der beiden Töchter des Hausherren zu sympathisch war. Man wird es nie erfahren, liebe Freunde.

Letztendlich hab ich aber ein überaus schönes Domizil bei den Eheleuten Fazliu bezogen. Im Kosovo ist es üblich, wie mir gesagt wurde, für jeden Sohn der Familie eine Etage aufs Haus draufzusetzen, damit dieser später mit seiner Frau bei seinen Eltern wohnen kann. Und da beide Kinder meines Vermieters in den USA studieren, bin ich so ehe ich mich versah vorübergehender Bewohner einer 4-Zimmer-Wohnung geworden. Für einen Preis von dem man natürlich in Germany nur träumen kann.

Auch erkundigt man sich ausgesprochen oft hier nach meinem Wohl. Dies gehört aber eher zur Begrüßung dazu. Sagen wir mal, man ist hier orientalisch freundlich. Für einen Kaffee oder eine Zigarette hat hier jeder Zeit.

Ansonsten muss ich sagen, ist die Mentalität, wie ich bereits vorher wusste, schon in mancher Hinsicht eine andere als in Serbien. So ist man zwar auf den ersten Blick offen und überaus freundlich und zuvorkommend, auf der anderen Seite merke ich aber doch, dass viele Themen schon fast ein tabu sind. Natürlich soll man nichts verallgemeinern und ich habe auch ein paar Leute kennen gelernt, bei denen das nicht so ist, aber je nachdem sind Themen wie Kritik an Staat und Gesellschaft, Minderheiten oder auch Privates, Dinge bei denen man im Zweifelsfall nur äußerst oberflächliche oder geradezu propagandistische Antworten zu hören kriegen kann. Ich denke, Ihr versteht, was ich meine. Man neigt halt doch sehr dazu, die nicht nur sprichwörtliche Fahne extrem hoch zuhalten. Alles Gegenteilige ist nicht so recht erwünscht. Wie gesagt, ich habe auch andere Leute kennen gelernt, nur haben mir eben diese gesagt, dass das mit der Meinungsfreiheit so eine Sache ist.

Aber nun mehr zu meinen Erlebnissen. Wie Ihr ja vielleicht wisst, habe ich mich für die „International Summer University in Prishtina 2010“ angemeldet und nun doch mit einigem Erfolg daran teilgenommen. Ursprünglich war mir sogar angeboten worden, selber einen Kurs hier zuleiten, aber aus Zeitmangel hab ich das Projekt mal auf Eis gelegt. Mein Kurs mit dem hochinteressanten Titel „Kosovo´s way to European Union“ gestaltete sich denn auch als buntes Programm und vor allem Kaffeefahrt zu allen wichtigen Organisationen vor Ort. So waren wir zu Diskussionsrunden bei EULEX, ECLO, KFOR, ICO und hatten sogar zwei hiesige Vertreter des Staates sowie eine Delegation der OSZE bei uns.

Selbstverständlich habe ich sowohl die Philipps-Universität zu Marburg als auch die Friedrich Schiller-Universität würdig vertreten. Ich war zwar nicht der einzige Doktorand in meinem Kurs, aber hey, seit vier Jahren hatte ich ja kaum ein anderes Thema. Besonders schön war es, dass wir auch einige serbische Teilnehmer hatten. Vor allem da natürlich unter den kosovo-albanischen und albanischen Studenten große Einigkeit bezüglich Kosovos Past, Present and Future bestand, welche allerdings nicht immer so ganz der Faktenlage entsprach. Die Studierendenschaft aus Bosnien, Mazedonien und Serbien bestand hingegen aus überaus aufgeklärten Geistern – sonst wären sie ja wohl auch kaum gekommen -, die sich lediglich am teilweise übermäßigen Fahnenschwenken der einheimischen Bevölkerung störten und wie ich im Übrigen auch, doch durchaus irritiert waren, wenn uns erklärt wurde, was das denn so mit der weitverbreiteten Staatsflagge Albaniens auf sich hat. Diese sieht man dann doch um einiges öfter als die vom Westen bevorzugte kosovarische Staatsflagge und soll dann auch mehr Jedinstvo als Bratstvo symbolisieren. Letztere hat darüber hinaus meiner Meinung nach ein höchst frapierende Ähnlichkeit mit der Flagge Bosnien und Herzegovinas. Wenn das kein Zeichen ist!

Die Sommer-Uni war hier übrigens ein hochoffizieller Anlass. Zur Eröffnungszeremonie gab’s nicht nur einen Kurzauftritt von zwei Sopransängerinnen mit Klavierbegleitung, sondern auch ein paar Reden vom Dekan, dem Bildungsminister und Präsident Sejdiu persönlich. Alles live im Fernsehen. Augenzwinkernd musste ich ja doch etwas an Public Relations oder Schlimmeres denken, als man sich zusammen unter den Augen der Bodyguards zur Nationalhymne erheben durfte – aber ich erinnere mich, dass es zu meiner Diplomfeier nicht einmal der Bürgermeister geschafft hatte, geschweige denn jemand von der Landesregierung… Es war also schon ziemlich beeindruckend.

Ich selbst war auch zweimal im TV. Einmal in einem Straßeninterview am Tag vor der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs. Meine Prognose war allerdings, dass die Entscheidung neutraler ausfallen würde und das sowohl für Serbien als auch Kosovo keine Maximallösungen zu erwarten seien (weniger in bezug auf die Statusfrage, die ist ja auch schon vorher de facto beantwortet worden, sondern mehr in bezug auf Verhandlungen im Kleinen oder sogar einen möglichen Gebietsaustausch). Das zweite Mal… Nun, liebe Freunde, auf der Abschlusszeremonie brauchte man halt noch einen ausländischen Studierenden, der vor den versammelten 400 Leuten plus Fernsehkameras noch mal im Namen aller noch ein paar Worte sagt. Tja, und nachdem der Bildungsminister, der Dekan und eine Gast-Professorin aus Budapest gesprochen hatten, wurde der Verfasser dieser Zeilen mit den Worten „and now will speak the Special Representative of the Students of Prishtina International Summer University, Raoul Ott“ auf die Bühne gerufen. Krass. Ich hoffe, ich krieg das Video. Natürlich hab ich mir von einem der Kameramänner die Nummer geben lassen. „Das waren also meine 15 Minuten Ruhm im Leben.“, war mein Gedanke hinterher. Ich hab es aber nach Aussage aller Anwesenden im Großen und Ganzen gut gemeistert, vor allem auch ohne auch nur einen Satz vorbereitet zuhaben. Die Nervosität hat man mir aber, glaub ich, schon angemerkt.

Das Ausflugsprogramm werde ich jetzt an dieser Stelle nicht weiter erläutern. Wir haben letztes Wochenende zwei Abstecher nach Prizren und zur Rugova-Schlucht gemacht. Mit zusätzlichen Ausflugszielen Peć/Peja und nach Skënderaj zum Grab von Adem Jashari. Gerade bei dem fast mythischen Gründer der UCK erregten sich dann auch etwas die Gemüter, wie Ihr Euch sicher denken könnt.

Ich bin mal gespannt, was so in den nächsten Wochen passieren wird. Meine Interviewpartner habe ich ja quasi alle während der Sommer-Uni kennen gelernt und fleißig Visitenkarten ausgetauscht. Das kosovarische Archiv soll leider aber keinen reichen Fundus an Primärquellen aufweisen, da 1999 wohl fast alle für mich interessanten Akten von der serbischen Armee entweder abgefackelt oder nach Niš abtransportiert wurden. Dies ist mir auch von einer Bekannten aus der serbischen Enklave von Gračanica bestätigt worden.

Gračanica gehörte zu meinem selbst organisierten fakultativen Ausflugsprogramm mit ein paar ebenfalls ausländischen Teilnehmern der Sommer-Universität. Insbesondere die serbischen Studenten wollten doch unbedingt mal sehen, wie es ihren Landsleuten wirklich geht. Und na ja, das ist schon alles deprimierend, auch wenn die Kosovo-Serben wiederum ihre Fahne ad minimum genauso eifrig hoch halten wie die Kosovo-Albaner. Außerdem war ich noch bei Vetëvendosje, der „kosovarischen Apo“, sowie mit meinen Freunden Kamil aus Prag und Dušan aus Belgrad auf dem Amselfeld. Ein Marsch und Abenteuer von teilweise geradezu epischen Ausmaßen, da wir knapp 4-5 km eine „Magistrale“ lang marschiert sind, vom serbischen Turm bis zum Grab Murads I.

Ich werd mal zusehen, ob ich noch eine Genehmigung für Niš kriege. Diese Woche bin ich in Belgrad, um noch ein paar Archivsachen zu erledigen. Ein leidiges Thema, was partout nicht so recht zum Abschluss kommen will. In Kosovo habe ich wenigstens Zugang zu viel internationalem Material, nicht zuletzt durch meine Interviewpartner.

So, jetzt leert sich mein Akku. Bin grad im Bus und noch ne gute Stunde von Belgrad entfernt. Grüße an Euch alle!